„Manchen fällt es schwer, banale Übungen zu machen“
Schon Jugendliche leiden an Rücken- oder Nackenschmerzen. Experten an Rhein, Sieg und Ahr erkennen darin durchaus einen Trend: Orthopädische Erkrankungen seien längst nicht mehr nur eine Frage des Alters, sagen sie. Warum das so ist und was man dagegen tun kann.
Prävention, so predigt Orthopäde und Sportmediziner Dr. Csaba Losonc, ist das A und O. „Wer etwas für sich tut, dem geht es körperlich auch besser“, sagt er. Sport, Fitness, Bewegung, Besuche beim Physiotherapeuten und Checks beim Arzt – so können Verletzungen oder Abnutzungsprozesse vermieden werden. „Starke Muskeln können vor Verletzungen schützen, zum Beispiel bei einem Sturz“, sagt der Arzt aus Bad Neuenahr. Seine Patienten werden dabei immer jünger und haben Krankheitsbilder, die eigentlich erst in einem fortgeschritteneren Alter auftreten, vor allem am Rücken. Mit dieser Beobachtung steht er nicht alleine. Der General-Anzeiger hat sich bei Experten umgehört.
„Schon in jungen Jahren machen die Menschen zu wenig Sport und das macht sich bemerkbar“, so Losonc. Einseitige Belastung durch Sitzen könne auf Dauer schmerzhafte Veränderungen in der Hals- und Brustwirbelsäule hervorrufen, etwa den Rundrücken. „Früher hatten das ältere Menschen. In der Praxis sehen wir das zunehmend schon bei Jugendlichen“, weiß der Arzt.
Dabei sollte diese Altersgruppe fit und agil sein. In seiner Freizeit trainiert Losonc eine Fußballmannschaft mit 8- bis 14- Jährigen. Und bemerkt, dass Jugendliche zunehmend unsportlicher werden. „Manchen fällt es schwer, banale Übungen wie einen Bocksprung oder einen Purzelbaum zu machen. Jugendliche sollten eigentlich viel belastbarer sein, aber ihnen fehlen koordinative Fähigkeiten“, so der Arzt.
Eine problematische Entwicklung
Losonc zufolge ist das eine problematische Entwicklung, die ihn wütend macht. „Wir haben in Deutschland eigentlich ein Gesundheitssystem, mit dem man solchen Beschwerden vorbeugen kann“, sagt er. Wenn die Menschen Interesse daran hätten und es mehr Förderungen gäbe, dann hätten weniger Menschen orthopädische Erkrankungen, ist er sicher. Mit Präventivmaßnahmen könne man bereits Kinder und Jugendliche abholen. „Wir haben das Kow-How, wir haben die Ärzte, aber es wird nicht angenommen“, sagt er. Ungefähr 80 Prozent der orthopädischen Erkrankungen wären vermeidbar, wenn man sich frühzeitig kümmern würde. Losonc: „Niemand kann vom Leben beste Gesundheit erwarten, wenn man nichts dafür tut.“
Rücken, Schulter oder Knie – wer Beschwerden hat, nimmt Physiotherapie in Anspruch, vielleicht bei Physiotherapeut Martin Teichmann. Der gebürtige Meckenheimer: „Es ist in unserem Beruf so, dass Menschen jeder Altersklasse mit Problemen oder körperlichen Beschwerden zu uns kommen. Aber früher 3 Olympia-Sportarten ausprobiert: Tipps für Anfänger 4 Bilder waren die jungen Leute meist die mit einer Sportverletzung. Jetzt kommen sie mit Migräne, Rückenschmerzen, Nackenschmerzen, Bandscheibenvorfällen oder Schmerzen zwischen den Schulterblättern.“ Dabei sind das Körperregionen, die den Bewegungsapparat ohne akutes Trauma betreffen. „Und das ist definitiv mehr geworden“, sagt auch er.
Smartphone, Laptop, Social Media: „Das sind Zeitfresser, mit denen wir uns auch in der Freizeit beschäftigen. Eigentlich kann man sich in der Zeit auch bewegen“, so Teichmann. In Kombination mit Home-Office fällt zudem der Weg zur Arbeit weg. „Die Menschen gehen vom Schlafzimmer zum Küchentisch, um dort zu arbeiten. Der Weg zur Arbeit ist maximal kurz, oft müssen sie nicht mal eine Treppe nehmen“, so Teichmann.
Zudem glaubt er, dass die Freude an Bewegung abgenommen hat, auch bei jungen Menschen. Dabei kennt er niemanden, dem es nach dem Sport schlecht geht. „Wenn die Leute joggen, beim Tennis oder im Rückenkurs waren, dann sagen sie alle: Das hat mir sehr gutgetan“, so der Therapeut. Dieses Gefühl sei toll, die Menschen müssten nur dranbleiben.
Fehlende Motivation
Prävention ist Teichmann zufolge wichtig. Genau das fällt der Gesellschaft aber schwer. „Es wird enorm auf Ernährung geachtet“, sagt er. Wer jedoch körperliche Beschwerden habe, gehe zum Arzt. „Es wird im Alltag auf vieles vermeintlich wichtigere, aber nicht auf Bewegung geachtet.“ Sport und Bewegung „sollten Spaß machen und keinen Zwang bedeuten oder Druck ausüben“, sagt er – das gelte insbesondere für die jüngere Generation. Das sieht auch Wolfgang Becker so. Wenn der Inhaber der Fitnesslounge in Oberpleis seinen Blick über die Trainingsfläche schweifen lässt, sieht er alle Altersklassen. Aber: Ein Großteil versucht, Beschwerden wegzutrainieren – und da sind auch jüngere Sportler dabei.
Das Studio und Gesundheitszentrum gibt es schon lange, Becker hat es 1996 gebaut. Er arbeitet seit 35 Jahren im Fitnessbereich. Zu ihm kommen Menschen, die sportlicher werden möchten, abnehmen wollen oder Beschwerden haben. Sein Team arbeitet ganzheitlich: „Wir schauen uns ganz genau an, woher die Beschwerden kommen und bekämpfen die Ursachen.“ Seine Beobachtung: „Manche sind erst 14 oder 15 und haben schon Schmerzen im Nacken, den Schultern oder im ganzen Rücken. Da ist alles schief, die Hüfte, das Becken, die Schultern.“ Oft kämen Kopfschmerzen oder Magenschmerzen dazu.
Extreme bestimmen die Generation
Er beobachtet grade in der jüngeren Generation Extreme, vom starken Übergewicht bis hin zum Extremsport. Becker zufolge kann das problematisch werden. „Viele junge Menschen haben Vorbilder, die schon seit Jahren trainieren und dementsprechend aussehen. Die wollen das dann in Wochen oder Monaten erreichen, was andere in Jahren konstant aufgebaut haben.“ Diese Ungeduld könne zu Demotivation führen. „Viele hören auf, weil sie nicht erreichen, was sie wollen, weil sie sich keine Zeit nehmen.“ Dabei seien Zeit, Kontinuität und Abwechslung wichtig.
Und Motivation. „Ich muss bereit sein, etwas für mich zu tun“, sagt Becker. Sport sollte Spaß machen und abwechslungsreich sein. „Nur Ausdauertraining nutzt nichts, wenn der Puls die ganze Zeit hoch ist.“ Das sei zu stressig für den Körper, um einen positiven Effekt zu erzielen. „Joggen trainiert zwar die Beine, aber lässt den Oberkörper außen vor. Dann bin ich anfällig für Rückenschmerzen“, sagt er.
Krankenkasse kann den Trend nicht bestätigen
Den Trend, den Becker, Teichmann und Losonc beobachten, kann die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) anhand ihrer Daten nicht bestätigen. Der Krankenkasse mit Büro in Siegburg lägen keine deutlichen Anstiege vor, so Sprecherin Kirsten Simon: „In unserem Vergleichszeitraum in den Jahren 2012 bis 2022 verzeichnen wir keine signifikanten Änderungen bei den Fallzahlen in der Gruppe der 16- bis 30-Jährigen.“ Richtig sei allerdings, dass jede und jeder fünfte junge Erwachsene bereits unter Rückenschmerzen leide.
Tipps von den Profis Mehr Bewegung im Alltag ist wichtig
Alle drei Experten sind sich einig: Man sollte leicht einsteigen und sich mehr im Alltag bewegen. Physiotherapeut Teichmann rät: Einmal die Stunde aufstehen und ein bis zwei Übungen machen, die Treppe nehmen, in der
Pause spazieren gehen. Außerdem zum Sport verabreden. „Feste Termine sagt man ungern ab.“ Fitnesstrainer Becker ergänzt: „Wer eine sitzende Tätigkeit hat, sollte nicht von null auf hundert gehen.“ Als Richtwert können
Einsteiger sich an zwei Einheiten pro Woche orientieren. „Man sollte sich nicht überfordern, sonst verliert man die Motivation.“ Und bei einem zu intensiven Einstieg steigt auch das Verletzungsrisiko. Orthopäde Losonc rät, sich bei einem Sportmediziner durchchecken zu lassen. Denn wer weiß, wo die eigenen Defizite liegen, kann gezielter trainieren, sodass überhaupt erst keine Schmerzen oder Fehlstellungen entstehen. „Nur durch gezieltes Training können Verbesserungen stattfinden“, betont er. Dann können sich auch Beschwerden wie Entzündungen zurückbilden. vma
Erschienen im General Anzeiger Bonn, Text: Maike Velden, Foto Ahr-Foto, 11.08.2024